Alfa-Wahnsinn_1000x90

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canguro01Automobilausstellungen, wie der Genfer Salon, der Turiner Salon und Earls Court, sind nicht nur deswegen interessant, weil die Autofirmen ihre neuen Modelle präsentieren. Besondere Anziehungspunkte dieser Salons sind wohl die 'Show-Cars' und Stylingstudien. Sie geben einerseits dem Designer die Möglichkeit sich 'stilistisch auszutoben' und dabei neue Konzepte zu erarbeiten, andererseits sollen sie die Besucher an den Stand locken. In Europa stellten vor allem Firmen, wie zum Beispiel Pininfarina oder Bertone ihre Sondermodelle aus. Eine besonders fruchtbare Zusammenarbeit entstand zwischen Alfa Romeo und Bertone. Neben den Produktionsmodellen (z. B. Giulietta Sprint, Giulia GT) wurden bei den verschiedenen Autosalons auch die futuristische BAT-Serie (Berlina Aerodinamica Tecnica), der Montreal und etwa die Giulietta Sprint Speciale präsentiert. 1964 wollte Bertone beim Pariser Salon ausstellen und fragte bei Alfa um ein Chassis an. Man stellte ihm ein Giulia TZ Chassis mit der Nummer 101 zur Verfügung.

Der TZ (Tubolare Zagato) war ein von Zagato gebauter recht erfolgreicher Rennwagen, dessecanguro02n Grundlage ein von Alfa entworfenes Rohrrahmenchassis war. Weitere Merkmale, die ihn von den Serien-Alfas unterschieden, waren die hintere unabhängige Radaufhängung, die Scheibenbremsen (hinten innenliegend) und ein auf 170 PS getunter Motor. Insgesamt wurden vom TZ von 1963 bis 1967 122 Stück von Zagato, ein Sondermodell von Pininfarina - der Giulia 1600 Sport - und eben der Canguro von Bertone gebaut.

Bertone stand also vor der schwierigen Aufgabe aus einem bereits effizienten Sportwagen einen noch Besseren zu machen. Dies konnte nur durch eine Verbesserung der Aerodynamik unter Beibehaltung des geringen Gewichts erreicht werden, und das Resultat war wirklich sehenswert. Nuccio Bertone und seinem Chefdesigner Giorgio Giugiaro - heute Chef der bekannten Firma ItalDesign - gelang ein Wagen der ungefähr dasselbe Gewicht wie der TZ hatte (660 kg), etwas länger (390 cm) und breiter (160 cm), aber um ganze 15 cm niedriger war (106 cm). Die fliessenden Linien des alfarot lackierten Canguros endeten in einem scharf abgeschnittenen Heck. Die grosse, gewölbte Windschutzscheibe und die Heckscheibe waren für die damalige Zeit neuartig, nicht mit canguro03Gummi befestigt, sondern geklebt. Die Türen waren weit vorne aufgehängt und in das Dach hineingeschnitten um den Einstieg und Ausstieg zu erleichtern. Die grosse Motorhaube hatte seitliche Luftschlitze, ähnlich wie sie später am - ebenfalls von Bertone entworfenen - Iso Grifo auftauchten. Die Vorderfront zierte ein stilisierter Alfa-Kühlergrill und die Scheinwerfer waren mit Plexiglas-Abdeckungen versehen.

Die 13 Zoll-Felgen aus Elektron waren eine Sonderanfertigung der Felgenfirma Campagnolo nach dem Design von Bertone. Der Innenraum wurde mit schwarzem, nicht reflektierenden Material tapeziert. Die Schalensitze aus Fiberglas hatten eine Polsterung mit Luftlöchern, ähnlich wie der Ford GT 40. Sie waren mit Stoff überzogen und tief in den Rohrrahmen eingebettet. Ein Stück des Rohrrahmens im Türschweller diente sogar als 'Angstgriff'. Die Instrumente im Armaturenbrett waren in zwei Gruppen aufgeteilt. Direkt vor dem Fahrer befand sich der Drehzahlmesser, die Temperatur- und Öldruckanzeige. Das Tachometer war seltsamerweise auf der Beifahrerseite angebracht. Ein interessantes Detail befand sich am hinteren Dachsteher, der eine Art Überrollbügel bildete. Das Quadrifoglio - ein grünes, vierblättriges Kleeblatt in einem weissen Dreieck (seit den zwanziger Jahren Alfas Rennemblem) - wurde nicht nur zur Dekoration verwendet, sondern hatte auch eine Funktion. Es war der Luftauslass des Ventilationssystems.canguro04

Technisch hatte der Wagen weniger Sensationelles zu bieten. Neunzig Prozent der Teile stammten von der Giulia TI. Der Grund dafür war, daß sich Bertone eine Serienproduktion seines Canguro erhoffte. Der Wagen war auch so konzipiert, daß er in der Serie aus Fiberglas gebaut werden sollte. Aus Kosten- und Zeitgründen war der einzige Protoyp allerdings aus Aluminium. Bei den Salons von Paris und Turin war der Canguro ein grosser Erfolg beim Publikum und bei den Kritikern. Zu einer Serienproduktion kam es dennoch nicht. Bei Alfa wusste man damals wahrscheinlich schon, daß in Zukunft nicht mehr der TZ, sondern der seriennähere Giulia GTA die Firma im Rennsport vertreten sollte.

Was geschah aber mit dem Canguro ? 1966 testete Bertone den Testudo mit Chevrolet Corvair-Mechanik, ein weiteres Traumauto. Bertone nahm auch den Canguro zu den Tests mit. Ein italienischer Journalist wollte einige Runden mit dem Wagen fahren - und kollidierte unglücklicherweise mit dem Testudo. Während man den Testudo reparierte wurde der Canguro in einer Halle des Bertone-Werks in Grugliasco bei Turin abgestellt. Dort entdeckte Jahre später ein deutscher Alfa-Fan den Canguro. Dem Wagen fehlte der Motor, die Motorhaube, Winschutzscheibe, Beifahrersitz und Armaturenbrett und sollte daher verschrottet werden. Für ganze 35 Dollar wechselte der Canguro seinen Besitzer und wartet nun auf seine Restaurierung.